Mein Baby und die Krabbe

Was können wir Erwachsene von Babys lernen? Eine kuriose Frage, die spannende Antworten bereithält.


Während ich diese Zeilen tippe, brabbelt, schmatzt und jauchzt mein Baby neben mir. Meine Tochter ist mittlerweile drei Monate jung und so einiges hat sie schon gelernt. Momentan betrachtet sie die rote Krabbe - wieder einmal. Zuweilen mustert sie diese Krabbe minutenlang. Ich frage mich: Was ist so interessant an dieser Krabbe?


Alles ist neu für meine Tochter. Schwierige Vorstellung. Alles ist neu. Auch diese Krabbe. Ihre Muster, die Details, die gesamte Form. Meine Tochter zeigt mir, dass es wichtig ist, Dinge nicht einfach "nur so" zu sehen, sondern dass man sie näher betrachten, ja, sich in ihnen vertiefen kann.

 

Bei einem Waldspaziergang habe ich es letztens geübt: Details des Waldes länger als nur sekundenweise zu betrachten. Ein Baum bietet genug Raum für minutenlanges Betrachten. Diese Vertiefung in die Dinge ist uralt und wird in Meditationen häufig gebraucht. Sie ist eines der wichtigen Geheimnisse vom Erkennen und Wahrnehmen. Meine Tochter scheint dieses Geheimnis zu kennen.


Worauf kommt es im Leben meiner Tochter noch an? Grundbedürfnisse! Genug Essen und Trinken (Her mit der Milch!), Ausgeschlafensein/Ruhe (Ich bin müde, also schlafe ich) und Sicherheit (Mama und Papa sind da, juhuuu) - und das Baby ist glücklich. Letztlich ist es ziemlich einfach: Gutes Essen, ausreichend Schlaf und ein Gefühl der Geborgenheit. Gute Rezepte für Glück. Ein gestresster Karrierist, der Junkfood in sich reinschaufelt, zu wenig schläft und den inneren Kontakt zu sich und seinen nächsten Menschen verliert, handelt gegen zentrale Prinzipien des guten Lebens. Er wird früher oder später krank, unglücklich und wird sich durch allerlei Zerstreuung von folgender Frage ablenken: Warum lebe ich? Warum bin ich auf der Welt?

 

Das Leben meiner Tochter dreht sich momentan also um Grundbedürfnisse und um das Lernen und Betrachten. Aber was noch? Was mir immer wieder auffällt und mich ungemein fasziniert ist ihr Wechsel zwischen Weinen und Lachen, Strampeln und Schlafen, mal dies, mal das betrachten - kurz, das totale Leben im Hier und Jetzt. Beim Impf-Piks des Doktors weinte sie fürchterlich, schrie wie am Spieß. Einen Augenblick später war alles vergessen und sie grinste denselben Doktor breit an, der ihr eben noch diesen Schmerz bereitete. Das Baby hegt keinen Groll, denkt nicht an den morgigen Tag oder an die Qualen der Geburt. Es geht nur um das Hier und Jetzt, den Augenblick, diesen Moment. Nur der ist wichtig. Wie viele Erwachsene leben im Hier und Jetzt? Nehmen den aktuellen Moment bewusst wahr?

 

Hunderte Male am Tag lacht meine Tochter zudem. Sie ist ein Sonnenschein und strahlt meistens. Lachen ist gesund und macht glücklich. Das wissen mehr oder weniger alle Erwachsene. Warum lachen sie dennoch so wenig? "Das Leben ist ernst!" So wird es meiner Tochter wohl später in der Schule beigebracht! "Ohne ernste Konzentration funktioniert diese Gesellschaft nicht!" So lautet eines der Credos der westlichen Welt.

 

Neben dem "Prinzip Fröhlichkeit" kennzeichnet wohl auch das "Prinzip Neugier" die frühe Kindheit wie kaum ein anderes. U la la, da ist ja die Krabbe schon wieder! Und da! Wow, was ist das?!? Zu gerne würde ich in den neugierigen Kopf meiner Tochter schauen. Jetzt und wenn sie sechs, zwölf, achtzehn, ..., Monate jung ist, nur um zu schauen, wie sich ihre Neugier dieses und jenes Mal ausdrückt. Sind Erwachsene neugierig? Ich denke ja. Dieses Prinzip ist bei vielen stärker erhalten geblieben als andere. Aber auch hier richtet die Schule (Lernen ist doof!) oft erheblichen Schaden an. Dabei müsste es doch das Anliegen von "Lern-Orten" sein, die nahezu grenzenlose Neugier von Kinder und Jugendlichen zu befriedigen. Wohl dem, der tolle Lehrer hatte und hat, egal ob mit Staatsexamen oder in der Familie als Großmutter, ältere Schwester oder wen auch immer.

So, nun werde ich aufhören zu tippen. Ich will noch ein wenig von meiner Tochter lernen.

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