Das Vorschaubild des Artikels zeigt einen etwas in die Jahre gekommenen Vorlesungssaal in der Universitätsstadt Halle an der Saale. Für mich steht dieser Saal sinnbildlich für mein Scheitern in
dieser Stadt, für mein Scheitern an der Universität Halle und für mein Scheitern im Wissenschaftsbetrieb insgesamt. Ich verbinde wenig Gutes mit diesem Saal, wie ich insgesamt wenig Gutes
mit Vorlesungssälen, Seminarräumen, wissenschaftlichen Arbeiten und Professoren verbinde.
Ich hatte und habe das große Glück, dass ich in meinem Leben inspirierende Menschen kennenlernen durfte, die mich ein Stück des Weges begleiteten und noch immer begleiten. Wenige von ihnen haben
es jedoch im deutschen Wissenschaftsbetrieb ausgehalten oder würden es dort hypothetisch aushalten. Als junger Mensch bin ich voller Neugier und Wissensdurst an die Universität gekommen -
und fand mich in Massenvorlesungen, überlaufenden Proseminaren, inmitten gehetzter anderer junger Studenten wieder. Für die Masse der Studenten und Professoren ging es vor allem um eins: Credits,
Abschlüsse, Karriere, Zahlen; es fühlte sich an wie ein bruchfestes Räderwerk, in dem neue Elemente nur als passgenaue Räderchen vorstellbar waren. So wurde auch ich zum Zahnrad und drehte
mich mit. Das machte ich so lange, bis ich zuerst einen Bachelor und dann einen Master in den Händen hielt. Ich lernte, wie ich zu funktionieren hatte. Ich lernte, was dieser und jener Professor
für so und so viel Credits haben wollte - Anforderungsbereiche nennt man das wohl. Ich lernte "wissenschaftlich" zu denken und vor allem zu schreiben. Heute weiß ich, dass 90 Prozent der als
"wissenschaftlich" geltenden Literatur in der "Geisteswissenschaft" vor allem eins ist: Dummschwätzerei. Aber ich passte mich an und produzierte und lieferte für das Universitätssystem. Meine
Noten bewegten sich im "guten" bis "sehr guten Bereich". Bei meiner Masterarbeit, die eines meiner Lieblingsthemen - das Philosophieren mit Kindern - behandelte, erhielt
ich jedoch einen dicken Dämpfer in der Benotung. "Begrenzt gescheitert", mit diesem Worten wurde ich dann nach 6 Jahren aus dem Universitätsbetrieb entlassen. Begrenzt gescheitert. Das
passt.
Ein geistiges Überleben in diesem Betrieb ist nur dann möglich, wenn man sich innere Freiheiten, Neugier, Offenheit, Mulitperspektivität, Freude am Lernen und Denken bewahrt. Das ist für
viele oft schwer, aber sicher nicht unmöglich. Den einen oder anderen Verbündeten für so ein mehrjähriges Unterfangen findet man immer.
Ich habe das Universitätssystem bewusst verlassen, weil ich mit diesem System nicht klar kam und komme. Ich bin dort gescheitert. Aber ich bin dort mit zwei Abschlüssen gescheitert.
Also nur begrenzt gescheitert. Sicher hätte es auch einen Weg ohne Abschlüsse gegeben. Aber um Abschlüsse, um Zertifikate dreht sich nun einmal vieles im Berufs- und Schulleben. Diese eiserne
Logik, diesen Druck spüren Millionen Schüler, Millionen Studenten, Millionen Angestellte. Im Schulalltag erlebe ich immer wieder, wie sehr sich das Denken und Handeln der Schüler, der Eltern, der
Lehrer um Noten und Abschlüsse dreht. Echtes Lernen, Neugierde, Freude, Sinnhaftigkeit, Nachhaltigkeit spielen nur eine untergeordnete Rolle. Das ist zum Kotzen. Eigentlich sollte die Schule
ein Ort sein, in dem man falsche Antworten geben und "dumme" Fragen stellen darf. Ein Ort, an dem man mit dem einen oder anderen "scheitern" kann, ohne im "großen Stil" zu scheitern. Viele
Lehrer ermöglichen glücklicherweise genau das: Begrenztes Scheitern mit damit verbundenen Lerneffekt. So wird aus Scheitern ein Erfolg.
Ich habe die Misserfolge in meinem Leben immer auch als Lehre verstanden und habe mir bis heute meine Lern-Freude, ja, meine Lern-Sucht erhalten. Ich liebe es, zu lernen. Jeden Tag. Ohne Lernen
wäre mein Leben weniger lebenswert. Jedes Scheitern wird über das Lernen damit in einen Erfolg transformiert. Scheitern macht mich somit stärker und klüger.
Auf der anderen Seite führt dieser Gedanke zu einer unangenehmen Wahrheit: Viel zu viele Menschen verharren in ihren Komfortzonen, in ihren sicheren Jobs, Beziehungsstrukturen, mentalen Modellen
und so weiter, in dem Scheitern als Möglichkeit so weit wie es geht ausgeschlossen ist. Kein Risiko. Keine größeren Wagnisse und Unterfangen. Keine Mission. Das verhindert aber oft (bedeutsame)
Lerngelegenheiten und damit eine breitere Fächerung und Intensivierung der eigenen Permation (nach anderer Lesart "Biografie" oder "Bildung").
Diese erwachsenen Angsthasen bauen dann die Nesthöhlen und Hasenausbildungsstätten, in denen junge Hasen vor allem die Erfahrung "gerader Biografien", möglichst ohne Scheitern, machen sollen. Und
so dreht sich das Rad beständig weiter. Es gibt immer noch viel Platz in den Vorlesungssälen der Republik.
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